Gesund wird teuer

13.05.2013 von FOCUS-Korrespondent Philipp Neumann

Rot-Grün kämpft für die Schaffung einer Bürgerversicherung an Stelle von privaten und gesetzlichen Krankenkassen. Eine Studie zeigt: Schon mittlere Einkommen werden dabei empfindlich belastet

Das Wort von der Wunderwaffe mag Karl Lauterbach gar nicht. „Wer die Bürgerversicherung als sozialpolitische Wunderwaffe bezeichnet“, sagt der SPD-Gesundheitspolitiker gereizt, „der unterstellt schon, dass sie nicht funktioniert.“ Das Gegenteil sei richtig: „Die Bürgerversicherung löst mehrere Probleme des Gesundheitssystems gleichzeitig.“

Doch Lauterbach könnte irren.

Zum zweiten Mal schon werben SPD und Grüne im Wahlkampf für den radikalen Umbau der Krankenversicherung. Gesetzliche und private Kassen sollen zu einer Bürgerversicherung werden. Die „2-Klassen-Medizin“ beim Arzt soll zu Ende sein. Die Krankenkassen sollen solide und gerecht finanziert werden.

Ein Ziel, zwei Wege: In der Bürgerversicherung der SPD soll der klassische Krankenkassenbeitrag bleiben, aber zusätzlich soll viel mehr Steuergeld ins Gesundheitssystem fließen. Den Grünen dagegen sind Steuern als Geldquelle zu unsicher, sie setzen nur auf den Krankenkassenbeitrag. Er soll nicht nur auf Löhne, Gehälter und Renten erhoben werden, sondern auch auf Einkommen aus Kapitalanlagen und Mieten. Die ungeliebten Zusatzbeiträge, da sind sich SPD und Grüne einig, fallen weg.

Im Ergebnis, so versprechen beide Parteien, wird die Finanzierung sicherer. Sie beruht nicht mehr nur auf Arbeitseinkommen. Außerdem soll die Finanzierung gerechter werden: Gutverdiener sollen mehr zahlen. Bislang zahlen sie ab 4000 Euro Monatsbrutto prozentual weniger Kassenbeitrag als Geringverdiener.

Das alles unter einen Hut zu bekommen klingt nicht nur schwierig. Es ist auch schwierig. Die Wunderwaffe Bürgerversicherung funktioniert nicht.

Eine Studie des Berliner IGES-Instituts für die Bertelsmann-Stiftung und den Bundesverband der Verbraucherzentralen zeigt, dass weder die Pläne der SPD noch die der Grünen die Erwartungen voll erfüllen. Die Experten des IGES-Instituts haben die Konzepte in vereinfachten Szenarien durchgerechnet. Sie haben sie mit dem aktuell existierenden System verglichen.

Das Ergebnis ist ernüchternd.

Wenn das Gesundheitssystem mit massiven Steuerzuschüssen von mehreren zig Milliarden Euro richtig wetterfest gemacht würde, wie es die Sozialdemokraten planen, käme es zu einer massiven Umverteilung von Einkommen: Ein Haushalt mit 36 000 Euro Jahresnettoeinkommen zum Beispiel müsste laut IGES-Berechnung rund 900 Euro pro Jahr mehr zahlen. Es ergäbe sich „für Arbeitnehmer bereits in mittleren Einkommensbereichen eine spürbare Erhöhung der Gesamtbelastung“, prophezeien die Autoren. Bei Gutverdienern würde diese Belastung die „Schwelle von 40 Prozent des Bruttoeinkommens überschreiten“.


Beim Bürgerversicherungskonzept der Grünen ist die Umverteilung nicht ganz so groß. Gutverdiener werden weniger stark belastet als bei der SPD. Dafür sind die Summen, die über Kassenbeiträge auf Kapitalanlagen und Mieten ins Gesundheitssystem kommen, „überschaubar“ gering, wie es in der Studie heißt. Die Krankenkassen würden nicht viel solider finanziert. Das Ganze sei außerdem zu bürokratisch.

Die Autoren ermitteln zwar bei beiden Reformvorschlägen „Spielräume für finanzielle Entlastungen in unteren Einkommensbereichen“. Im SPD-Konzept würden

davon aber nur Rentner profitieren, im Grünen-Konzept dagegen nur Arbeitnehmer. Arbeitgeber wiederum werden nur von der SPD entlastet.

Die aktuelle Finanzierung des Gesundheitssystems mit seinen Zusatzbeiträgen findet ebenfalls keine Gnade vor den Experten: zu umständlich und mit 230 Millionen Euro Verwaltungskosten pro Jahr zu teuer in der Umsetzung. Außerdem werden Haushalte mit geringem Einkommen viel stärker belastet als bei einer Bürgerversicherung.

Die Auftraggeber der Studie – Bertelsmann-Stiftung und die Verbraucherzentralen – tendieren zum Bürgerversicherungskonzept der SPD, bei allen erkennbaren Schwächen dieses Modells. „Die Studie sollte ja auch die Fallstricke aufzeigen“, erklärt Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann- Stiftung. „Eine solide und nachhaltige Finanzierung des Gesundheitssystems“, ist er überzeugt, „ist nur mit einer integrierten Krankenversicherung und mit einer Ausweitung der Steuerfinanzierung möglich.“

Bliebe es bei der Trennung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung, würde mehr Steuergeld für die gesetzlichen Kassen von der privaten Konkurrenz „zu Recht als Benachteiligung betrachtet“, so Etgeton. Froh sei er, dass die Studie außerdem einen Weg zeige, wie das Steuergeld vor dem Zugriff der Politik geschützt werden könne.

Birgitt Bender, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, hat da ihre Zweifel: „Steuerfinanzierung ist Gesundheitspolitik nach Kassenlage“, sagt sie. Wie leicht der Finanzminister in dieses „Reservekästchen“ greife, sei gerade zu sehen gewesen, als die Bundesregierung den Zuschuss an die Krankenkassen für dieses und das nächste Jahr um mehrere Milliarden Euro gekürzt habe. Die Beitragsfinanzierung in der grünen Bürgerversicherung sei daher sicherer.

SPD-Experte Lauterbach, der für sich reklamiert, die Bürgerversicherung erfunden zu haben, lässt sich durch die Kritik nicht beirren: „Unser Original ist noch immer das Beste.“